| Das Verhaltenstherapeutische Protokoll
Das Verhaltenstherapeutische Protokoll (VP) wird dann angewandt, wenn der Mensch mit Behinderung nicht mehr über ein Selbstmanagement verfügt oder dieses verloren hat, in seinem Verhalten keinerlei Alternativen zeigt, keine Lösungsansätze oder völlig unrealistische Problemlösungsstrategien entwickelt hat, die zumeist destruktiv sind (Weigerung, aggressive Handlungen,Fehlzeiten, Passivität etc.). Meistens liegt auch eine starke Identifikations - oder Identitätsstörung in der Hinsicht vor, dass z. B. ein Mensch mit einer geistigen Behinderung einen Beruf erlernen möchte, für den er nachweislich nicht geeignet ist. Zudem ist der Betroffene in der Gedankenschleife, ein unrealistisches Ziel zu erreichen, verfangen, aus der er nicht mehr herauskommt. Oft hat sich auch das destruktive Verhalten, ausgelöst durch eine Krise, verselbstständigt, der M. m. B. ist nur sehr schwer zugänglich, unkooperativ oder unternimmt alles, um seine Situation nicht zu verändern. Es geht nichts mehr. Zumeist liegen nachweisbare hirnorganische oder auch (zusätzliche) physische Störungen vor.
In diesen Fällen greift das Verhaltenstherapeutische Protokoll (VP), das ich deshalb so genannt habe, weil jeder Schritt genau vorgeschrieben ist und wie ein Ablauf-Protokoll durchgeführt wird. Die Interventionen auf den Menschen mit Behinderung sind direktiv, es werden also wenige Alternativmöglichkeiten zugelassen, weil das Verhaltentherapeutische Protokoll oft die letzte Maßnahme von vielen vor einer Entlassung darstellt. Eine Mitarbeit des M. m. B. ist deshalb zwingend.
Bei beispielsweise aggressiven Handlungen, wenn ein Mensch mit Behinderung einen anderen Menschen schädigt, durch Schläge oder anderes, gibt es keine andere Alternative, als dieses Verhalten abzustellen. Ständige Abwesenheit in der Gruppe oder große, langandauernde Fehlzeiten führen oft zwangsläufig zur Entlassung oder machen eine effektive Zusammenarbeit unmöglich. Diese Methode bietet also einem Menschen mit Behinderung und seinem päd. Betreuer in einer hoffnungslos verfahrenen Problemsituation ohne Ausweg eine Handlungsalternative zu seiner zwanghaft festgefahrenen Verhaltenslösung. Um es im heutigen Pädagogendeutsch zu formulieren: Er kann sich seiner selbst nicht mehr bemächtigen. Das VP ist aus meinen Erfahrungen in der Praxis entstanden.
Im Wesentlichen geht es um Struktur, Bindung und Zuwendung.
Eine Behinderung verändert das Selbstbild eines Betroffenen nachhaltig. Er kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und die selben Entscheidungsqualitäten eines Menschen ohne Behinderung vorhalten. Ohne eine strukturierte Aufklärung über die Störung und die Behandlungsmöglichkeiten nimmt das Gefühl, der Störung hilflos ausgeliefert zu sein, zu. Ein selbstverantwortlicher Umgang mit der Störung ist nicht möglich. Der Mensch mit Behinderung kann in einer solchen Situation „sich weder selbstbemächtigen, noch selbst entscheiden“. Diese soziologischen Konstrukte lösen sich in der Praxis oft in Luft auf und helfen nicht weiter. M. m. B. brauchen konkrete Hilfsangebote mit Ablaufrahmen. So ist die Entscheidung eines Menschen mit Behinderung, andere oder sich zu schädigen oder jede Maßnahme zu verweigern bzw. nicht zu kooperieren, in jeder Situation ineffektiv. Sie trägt weder zur Bewältigung, noch zur Bemächtigung, noch zur Selbständigkeit bei, bleibt zwar eine Lösung, aber eine,die nicht funktioniert und den M. m. Behinderung in einen Teufelskreis führt.
Letztlich fehlt dem Menschen mit Behinderung in dieser beschriebenen Situation die Fähigkeit zum Selbstmanagement (ein besserer Begriff), also die Fähigkeit der eigenen Person, das Verhalten durch den Einsatz konkreter Strategien zu steuern bzw. zu verändern, wobei die eingeschränkten Fähigkeiten zur Selbstbeobachtung, zur Selbstbewertung und Verstärkung sowie die Bindungsschwäche eine zentrale Rolle spielen. Im Verhaltenstherapeutischen Protokoll können verhaltenstherapeutische mit psychoedukativen Methoden und Anwendungen kombiniert werden. Es ordnet dem Betroffenen wieder einen Verantwortungsspielraum für sein Tun zu, aus dem er sich zuvor ausgeklinkt hat.
Vorgehensweise:
Erfahrungen
Das VP wird schnell zur Routine, oft auch – für den M. m. B. - langweilig oder unangenehm. Diese negative Verstärkung ist gewollt, den der M. m. B. soll sich ja endlich mit seinem Problem beschäftigen und ihm nicht aus dem Wege gehen. Dann wird es - auch manchmal abgelehnter - Teil seines Tages. Auch ist es möglich, dass der M. m. B. eine Lösung/das VP nicht schafft und eine andere, zumeist externe Lösung gefunden werden muß, aber auf jeden Fall geht es weiter. Manchmal müssen Fragen umgestellt, verändert oder gelöscht werden, weil sie keinen Erkenntnisgewinn mehr bringen. Die Entwicklung kann man oft nicht vorhersagen, es gibt immer wieder Überraschungen. Entscheidend ist der neue (konsequente) Handlungsrahmen, den wir dadurch immer gewonnen haben.
Dr. Klaus Gehling
Neuhaus,d. 24.07.2012
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