Psychologische Aspekte bei der Entwicklung und Durchführung von Fortbildungsangeboten für Menschen mit geistiger und/oder psychischer Behinderung

O Allgemeines

Es gibt keine Fortbildungs- oder Unterrichtsmethoden, die generalisierend auf alle Menschen mit einer Behinderung zutreffen. Beeinträchtigungen in der geistigen und / oder psychischen Entwicklung wirken sich insbesondere auf persönliches Lerntempo und Ausdauer im Lernprozess, sinn-, sach- und situationsbezogenes Lernen, selbständige Aufgabengliederung, Planungsfähigkeit und Handlungsvollzug sowie individuelle Gedächtnisleistungen aus. Dies gilt ebenso für Emotion und Motivation, die im Wesentlichen beeinflussen, ob sich ein Mensch überhaupt auf eine neue Lern- oder Fortbildungssituation einlassen kann. 

1. Menschen mit einer geistigen Behinderung

Das Arbeitsgedächtnis (AG) eines Menschen mit einer geistigen Behinderung ist stark reduziert. Insbesondere werden Lernstrategien nicht in andere Gedächtnissysteme ausgelagert, sondern gleichzeitig mit anderen Informationen im Arbeitsgedächtnis abgespeichert, so dass das Arbeitsgedächtnis sehr schnell keine Kapazität mehr für weiteres Gedächtnismaterial hat. Dies ist im Wesentlichen der Grund für die schlechten Gedächtnisleistungen. Dadurch kommt es auch häufig zu Vermeidungsverhalten oder auch zu Abbruch der Interaktion („Bockigkeit“). Generell finden wir mnestische Störungen, d. h. neben schwachen Gedächtnisleistungen imponiert auch eine geringe Aufmerksamkeitsfokussierung. Da Sprache besonders viel Speicherraum benötigt, ist eine sprachlich fokussierte Fortbildung immer kontraindiziert und von geringem Effekt. Es besteht zudem eine generelle Verlangsamung von kognitiven Prozessen, also eine Verlangsamung der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit. Auch diese Verminderung der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit ist mit dem schlechten AG und der schlechten Aufmerksamkeit begründet bzw. setzt sie weiter herab. Zudem werden unwichtige Reaktionen nicht gehemmt; es findet also keine ausreichende Selektion von Reizen statt. Somit ist das Erkennen wichtiger Informationen erschwert und es entstehen längere Inspektions- und Instruktionszeiten (Zeit der Aufgabenaufbereitung) und die bereits erwähnte Schwierigkeit bei der Hemmung unwichtiger Reize. Durch die mangelhafte Abspeicherung von Sprache und deren Weiterverarbeitung werden die Absichten der Sprache (die Semantik) häufig nicht erkannt. Deshalb gelingt auch die gleichzeitige Verarbeitung von sprachlichen Informationen nicht. Das Nichtverstehen schafft zusätzlich emotionale Probleme; der Mensch mit Behinderung fühlt sich nicht ernst genommen. Aufgrund der geringeren Speicherfähigkeit und der fehlenden semantischen Aufbereitung von Sprache werden Doppelbedeutungen, Ironie etc. nicht verstanden.

Folgerungen für eine Fortbildung

Aus der differenzierten Beschreibung des Lernverhaltens von Menschen mit geistiger Behinderung ergibt sich, dass diese oft eine langsamere Auffassungsgabe aufweisen, eine gestörte Abstraktionsfähigkeit haben, langsamer lernen, mehr Wiederholungen und Übungen brauchen, damit sie ein Lernziel erreichen. Lerninhalte müssen gegliedert, überschaubar und in kleine Schritte unterteilt sein. Diese müssen jedoch wiederum in zeitlichen Abschnitten durchgeführt werden,da M. m. B.  schneller ermüden und in ihrer Aufmerksamkeit störanfälliger sind.

Es sei nochmals darauf hingewiesen: Eine einfache Sprache ist hilfreich, jedoch aufgrund der Gedächtnisprobleme bei Abspeicherung von Sprache nicht ausreichend. Bei Gedächtnisprozessen ist hier insbesondere das eingeschränkte Arbeitsgedächtnis zu nennen, das zusätzlich auch noch Lernstrategien abspeichert und deshalb häufig schnell „verstopft“ ist. Aber auch im Problemlösungsverhalten fällt es Menschen mit einer geistigen Behinderung schwer, Aufgaben zu bewältigen, die eine Auswahl von zielgerichteten Lern- und Einprägungsstrategien erforderlich machen (siehe Arbeitsgedächtnis).  Deshalb bilden sie keine spontan geeigneten Strategien zur Lösung komplexer Aufgaben und auch gelernte Strategien werden nicht auf neue Aufgaben übertragen. Deshalb ist es notwendig, Aufgaben vorzustrukturieren und dann anzuleiten.  Das läßt sich nur durch ein geringes, zumeist visuelles Reizangebot verbessern. Das Fehlen oder die mangelnde Entwicklung von kognitiven Strategien und deren Überwachung im Arbeitsprozess sowie Defizite in der Fähigkeit zur Informationsverarbeitung, (hier wird auf die kognitiv bedingte langsame Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit hingewiesen), erschweren eine gleichzeitige Bearbeitung von Informationen und die Planung bzw. Kontrolle von Bearbeitungsschritten und führen dadurch zu Problemen der Selbststeuerung in Problemlösungsprozessen (sogenannte „crossmodale Retardierung“, die im übrigen auch bei Menschen mit psychischen Behinderung auftritt). Ob sich Menschen auf eine Lernsituation einlassen, wird wesentlich durch das emotionale und motivationale Verhalten eines Menschen bestimmt.

Motivation und Emotion sind zwei psychische Grundkräfte, die das Erleben und das Verhalten eines Menschen maßgeblich beeinflussen. Dies gilt insbesondere für Menschen mit einer psychischen Behinderung (siehe unten).Aufgrund von vielen Misserfolgen in ihrer Sozialisation sind Menschen mit einer geistigen Behinderung insbesondere von externer Motivation und Anregung angewiesen, weil sie gelernt haben, hier keinen Erfolg zu haben. Damit werden auch intrinsische Motivationsansätze gleich zerstört und auch früher erfolgreiche Explorationsverhaltensweisen reduziert. Auch die Versuche der Wissensaneignung werden verringert und es entwickelt sich eine rein von äußeren Gegebenheiten bestimmte Motivation. Menschen mit einer geistigen Behinderung sind sehr fixiert auf Personen und deshalb auf Bindungen zu Personen angewiesen. Bei Menschen mit einer geistigen Behinderung müssen Lerninhalte in einfacher Sprache formuliert, klar strukturiert, überschaubar und in kleinen Schritten gegliedert werden, sowie mit vielen Wiederholungen einhergehen.

Die Durchführung von kleinen Schritten muss zeitlich auseinander liegen, da sonst die Gedächtnissysteme, insbesondere das Arbeitsgedächtnis, überfordert sind. Arbeitsmaterialien müssen überschaubar sowie einfach formuliert und ihre Inhalte durch Zeichnungen illustriert sein, weil Sprache schlecht abgespeichert werden kann. Durch die Tatsache, dass Menschen mit geistiger Behinderung eher extrinsisch als intrinsisch motiviert sind, bedeutet dies, dass sie durch äußere Reize motiviert werden müssen, also in diesem Fall die eigene Vorstellung und die eigene Selbstbestimmung häufig nicht ausreicht, um an einer Fortbildung teilzunehmen. Das bedeutet, dass dem Menschen mit einer Behinderung generell bei der Auswahl der Fortbildungsinhalte schon geholfen werden muss.  Eine intrinsische Motivation kann sich vor allem über die Bindung zum Fortbildungsreferenten/tin entwickeln, wenn der Mensch mit Behinderung spürt, dass er mit Hilfe des Referenten fähig wird, Handlungen zu beginnen, diese zu vollenden und die Ziele zu erreichen. Eine gute Anbindung an den, der die Fortbildung durchführt, ist sehr wichtig. Ich habe Pädagogen erlebt, die nachweislich inkompetent waren, denn die Teilnehmer hatten auch nach einem Jahr nichts gelernt.  Einige haben aber durch ihre soziale Kompetenz zwar nicht die fachlichen (z. B. Schreiben, Lesen) aber die sozialen Fähigkeiten der Teilnehmer verbessert, sie waren beliebt und ihre Kurse immer voll. Wir haben dann diese Kurse akzeptiert.

Es ist nachvollziehbar, dass die gesamte Umgebung nicht reizüberladen sein darf; kleine Gruppen, gemütliche Atmosphäre, wenig Störreize. Lerninhalte, die nicht auf in der Vergangenheit bereits erreichte Ziele aufbauen, sind unwirksam. Die Lernsituation muss so konzipiert werden, dass die Teilnehmer Raum bekommen, auf vorhandenes Wissen und Können zurückzugreifen. Dabei ist eine positiv gestaltete Beziehungsebene von großer Bedeutung. Visuelles Potenzial geht vor sprachliches Potenzial. 

2. Menschen mit einer psychischen Behinderung

In den Einrichtungen für M. m. Behinderung arbeiten Menschen mit ganz verschiedenen psychischen Behinderungen, wobei eindeutig die meisten Personen an einer Schizophrenie erkrankt sind. Deshalb stehen Menschen mit einer schizophrenen Erkrankung auch im Vordergrund der lernpsychologischen Betrachtungen. Menschen mit psychischer Erkrankung haben sehr starke Aufmerksamkeitsdefizite; diese sind mit einer Störung der selektiven Aufmerksamkeit verbunden: Wichtiges kann nicht von Unwichtigem unterschieden werden. Es kommt deshalb darauf an, Reize nicht komplex darzustellen, weil sie dann nicht mehr getrennt werden können. Zudem bricht die Wahrnehmung zusammen (sogenannte Crossmodale Retardierung). Menschen mit einer psychischen Behinderung können demnach auch ihre Aufmerksamkeit ganz schlecht teilen. Sie können mehrere Reize auf einmal nicht bearbeiten. Dies ist ein ganz wichtiges Moment bei einer Fortbildung. Neuroleptika sind  auch nicht immer in der Lage, Aufmerksamkeitsleistungen zu verbessern, obwohl das oft von der Pharmaindustrie behauptet wird. Ich habe in vielen neuropsychologischen Untersuchungen keine ausreichenden Hinweise für eine signifikante Verbesserung von kognitiven Funktionen durch Neuroleptika gefunden, auch nicht bei sogenannten atypischen Neuroleptika mit geringen Nebenwirkungen. Zumeist wird durch eine Medikation die Minussymptomatik beeinflußt, also  die Symptome, die mit der Erkrankung einhergehen und die gesamte Lebensenergie verringert. Allerdings sind die neuen Neuroleptika durchaus in der Lage, auch positive Symptome wirksam zu verbessern (z. B. Denkstörungen, Wahn, etc).

Bei Menschen mit einer psychischen Störung finden wir ausgeprägte Denkstörungen. Beispielsweise ist die „Assoziative Lockerung“ bei schizophren Erkrankten eine hervorstechende Beeinträchtigung der Selektionsfähigkeit. Das Denken ist zudem durch Interferenzen (Überlagerung verschiedener Reize) beeinträchtigt. Bei allen Menschen mit einer psychischen Behinderung, ob depressiver, schizophrener oder generell hirnorganischer Natur, sind basale Störungen festgestellt worden, wie z. B. die bereits erwähnte Beeinträchtigung der selektiven Aufmerksamkeit, ein schlechtes Arbeits- und ein schlechtes Kurzzeitgedächtnis, eine verminderte Hemmbarkeit von Nebenassoziationen und mangelnde Steuerung der Reaktionsauswahl. Neben sogenannter positiver Symptome, wie Halluzinationen, Denk- oder Ich-Störungen oder gar Wahnvorstellungen, gibt es auch immer, wie bereits erwähnt,  sogenannte negative Symptome, d. h. der Verlust oder die Verflachung bestimmter Fähigkeiten, die sich dann bei der Motivation bemerkbar machen.

Negativsymptomatik führt häufig zum Abbruch einer Fortbildungsmaßnahme oder lässt eine Beteiligung als unwahrscheinlich erscheinen. Die Minussymptomatik muss deshalb größere Beachtung während einer Fortbildung finden. 

Bei Menschen mit einer Schizophrenie finden wir insbesondere Schwierigkeiten in Form von Konkretismus und Overinclusion. Konkretismus bedeutet, „alles wörtlich zu nehmen“. Bei der Overinclusion geht es um das Phänomen, dass von einem Teil auf generell alles geschlossen wird, und zwar 1:1. Dies findet sich häufig auch in Gesprächen mit Menschen mit Schizophrenie. Bei diesen Menschen gibt es zudem das Problem einer semantischen Bahnung (Präaktivierung). Das bedeutet, dass Menschen mit einer Schizophrenie sehr stark von bereits Gelerntem, Abgespeichertem oder Erlebtem präaktiviert, d. h. auch vorbestimmt werden. Diese Menschen können sich dann von dem bereits Gelernten oder Erlebten schlecht lösen (z. B. bei Zwängen). Es determiniert sie und macht sie unflexibel für Neues. Dies ist besonders der Fall, wenn diese Personen emotional stark erregt sind. Im Unterschied zu den Menschen mit einer geistigen Behinderung finden sich bei Menschen mit einer psychischen Behinderung keine groben Gedächtnis – oder Intelligenzstörungen. Die Schwierigkeiten im Kurzzeitgedächtnissystem sind nicht so ausgeprägt; es wird auch häufiger für Strategien benutzt, was den Menschen mit einer geistigen Behinderung oft nicht möglich ist. Das unmittelbare Behalten unter dem Aspekt der reinen Behaltensspanne ist bei den meisten Menschen mit einer psychischen Behinderung intakt. Bei Menschen mit einem langen chronifizierten Krankheitsverlauf sind jedoch alle geistigen Leistungen per se vermindert.

Im Gegensatz zu Menschen mit einer geistigen Behinderung haben Menschen mit einer psychischen Behinderung häufig eine noch längere Gesamtreaktionszeit, was auf eine stark verlangsamte Informationsverarbeitung zurückzuführen ist. Hier ist nicht die begrenzte kognitive Fähigkeit betroffen, sondern die Verarbeitungsgeschwindigkeit. Wichtig ist, dass bei Menschen mit einer psychischen Behinderung nie die Sinnesqualitäten geändert werden sollten. Die gleichzeitige Darstellung von Lerninhalten visuell, sprachlich oder auch akustisch erschwert die Aufnahme von Reizen bei Menschen mit psychischer Behinderung. Besonders hinderlich für die Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen bei Menschen mit einer psychischen Behinderung und häufige Ursache für Isolation und sozialen Rückzug sind Beeinträchtigungen der sogenannten „emotionalen Intelligenz“. Der Begriff beschreibt die Fähigkeit, eigene und fremde Emotionen zu erkennen, einzuordnen und mit ihnen umzugehen, u. a. auch das Vermögen, im Kontakt mit anderen Menschen deren „emotionale Botschaften“ richtig zu deuten.

 

Folgerungen für eine Fortbildung

 

Menschen mit einer psychischen Behinderung, hier besonders schizophrene Menschen, haben oft große Schwierigkeiten, jenseits der Sprache, aus Mimik und Verhalten des Gegenübers auf dessen Gefühle zu schließen. Sie bemerken nicht, ob der Gesprächspartner fröhlich, traurig, zornig oder angeekelt ist. Dass sich darauf massive Schwierigkeiten im täglichen Umgang mit den Mitmenschen ergeben können, liegt auf der Hand.  Empfohlen wird deshalb, dass der Vortragende eine ausgeprägte Mimik und Gestik zeigt, als normalerweise verlangt werden kann. Auch müssen emotionale Situationen geklärt werden, in die ein Mensch mit einer psychischen Behinderung hineingeraten kann. Die Gestimmtheit der Gruppe zu beobachten, ist also besonders wichtig.

Die Beeinträchtigung der Ausdauer, der Emotionalität und der sozialen Kompetenz psychisch behinderter Menschen ist im Übrigen auch ein Grund, keine Gruppen zu bilden, in denen sich Menschen mit einer geistigen und Personen mit einer psychischen Behinderung befinden. Die Gruppendynamik und damit auch die Lernbasis können dadurch erheblich beeinträchtigt werden („Lernen voneinander“ hört sich zwar gut an, ist aber nicht unproblematisch und nicht immer angebracht).

Auch hier mein Rat: Schauen, was ist, nicht was sein soll!

Die Rolle der Motivation wurde bereits oben beschrieben. Bei Menschen mit einer psychischen Behinderung ist die Motivation häufig durch die oben erwähnte Minussymptomatik stark beeinträchtigt. Hier geht es um das Problem einer mangelnden Compliance, einer mangelnden Kooperation. Es gibt also häufiger sogenannte „eigensinnige“ Menschen mit Behinderung. Besonders bei Menschen mit Schizophrenie sind Innen und Außen kaum noch zu trennen. Innere Vorgänge können zu Stimmen oder Bildern werden, äußere reale Vorgänge ohne Filter im Innersten treffen. Menschen mit einer psychischen Behinderung ringen um das Eigene und um den Sinn. Das Ringen bezieht sich nicht nur auf das Innere, sondern auch auf den Sinn nach außen. Also: wie kann ich balancieren zwischen Bindung und Autonomie, Abgrenzung und Verschmelzungswünschen? Interessant ist, dass psychologische Forscher herausfanden, dass Menschen mit sogenannten „ideosynkratischen Krankheitskonzepten“, also letztlich mit eigensinnigen Erklärungsmustern, eine höhere Lebensqualität haben.

Menschen mit einer psychischen Behinderung neigen dann häufig dazu, Fortbildungsangebote abzulehnen, sie zu umgehen oder erst gar nicht daran teilzunehmen. Sind Menschen mit einer geistigen Behinderung insbesondere bindungsabhängig, so sind Menschen mit einer psychischen Behinderung besonders „respektsabhängig“. Denn diese Menschen spüren sehr intensiv und sensibel, ob ihnen Respekt entgegengebracht wird, ob ihre Individualität gewürdigt wird, ob sie als Person oder als Symptomträger gemeint sind. Dies ist bei der Aufbereitung und Besprechung von Fortbildungsveranstaltungen zu berücksichtigen. Das Wie und Wo einer Fortbildung ist für einen Menschen mit einer psychischen Behinderung genauso wichtig wie der Inhalt einer Fortbildung. Man kann Menschen mit einer psychischen Behinderung besser zu einem Fortbildungsthema bringen, wenn man sich der Frage des Vertrauens zuwendet. Vertrauen schafft Interesse (bei Menschen mit einer geistigen Behinderung schafft Bindung Interesse!).

Auch für Menschen mit einer psychischen Behinderung sind also die äußeren Bedingungen wichtig, wie z. B. kleinere Gruppen, nicht gemischte Gruppen, wenig Reizüberflutung, d. h. wenig Lärm, und insbesondere sollte beachtet werden, dass Menschen mit einer psychischen Behinderung stressanfällig sind.

Fortbildungen sollten also nicht zu lange dauern und auch insgesamt sollte der Zeitachse Beachtung geschenkt werden (siehe Punkt 3).

„Eigensinniges“ Ablehnen sollte akzeptiert, Angebote jedoch immer wieder wiederholt werden.

 

3. Zeitlicher Ablauf von Fortbildungen

 

Bekanntlich speichert das Arbeits - oder Kurzzeitgedächtnis (AG) Informationen einige Minuten lang. Das Langzeitgedächtnis verknüpft das Erlebte zu einer zusammenhängenden Vergangenheit. Dabei besteht der Zusammenhang aus unseren Lebensgeschichten, die wir uns erzählen (narrare, lat. "erzählen"). Psychologen nennen deshalb das Ich das "narrative Selbst". Das ist bei M. m. B. zumeist eingeschränkt (im Wahn wird beispw. versucht, dieses Problem durch wahnhafte Erzählungen zu lösen, eine Wahngeschichte ist besser als gar keine!).

 

Wie wichtig das AG beim Zeitempfinden  ist, merken wir, wenn es nicht funktioniert! Wie bei M. m. B., wo die Gedächtnissysteme, wie oben erläutert, gestört sind. Bei M. mit schweren Hirnschädigungen bspw. beginnt alles wieder bei null. Ein weiteres Beispiel: Ein Mensch mit einem Tumor im linken oberen Stirnhirn (wo sich u. a. das AG befindet) leidet unter einem Zeitraffer-Effekt. Nach subkjektiv 60 empfundenen Sekunden sind bereits real 5 Minuten vergangen, die Welt um ihn herum rast. 

 

Unser Zeitempfinden wird durch eine Inselrinde der Großhirnrinde beeinflußt bzw. koordiniert. Zudem wird das Zeitempfinden durch viele Körperfunktionen beeinflußt (Herzfrequenz, Blutdruck etc., die im 24-Stunden-Rhythmus schwanken). Die Gegenwart ist in 3-Sekunden Intervallen unterteilt.  Unsere Orientieruingsreaktion dauert 3 Sekunden. Überall finden wir diese 3-Sekunden-Schnipsel: bei der Dichtung etwa, bei der Wahrnehmung (Kippfiguren, die alle 3 Sekunden kippen). Es gibt viele weitere Beispiele in der Literatur.  

Ähnliche Zeitraffer-Erlebnisse und Zeitveränderungsempfindungen wie bei Tumoren finden wir bei psychischen Erkrankungen und auch bei M. m. g. B. (und bei älteren Menschen).

 

Was ergibt sich für eine Fortbildung daraus? Zweierlei:

 

1. Zuverlässigkeit

 

In der Therapieausbildung wird immer wieder auf die notwendige Zuverlässigkeit des Therapeuten hingewiesen. So auch hier: Termine müssen eingehalten oder rechtzeitig und nachvollziehbar korregiert werden, am besten durch persönliche Ansprachen. Heißt es bei der Suchttherapie "Ändere alles, besonders die Umgebung", so ist bei diesem Zeitmanagement die Gewohnheit gefragt, nichts sollte sich so schnell ändern. Fortbildungen sollten in kurzen Zeitschnipseln unterteilt werden, die nicht verändert werden.

 

2. Ritualisierung der Fortbildung

 

Verhaltensmuster, die ständig wiederholt und von anderen als solche auch erkannt werden, nennen wir Rituale. Rituale, bzw. ritualisierte Verhaltensmuster  verfolgen einen doppelten Zweck: zum einen soll ein bestimmtes Ziel erreicht werden, zum anderen ist es ein Mittel für dessen Mitteilung.

Das Tierreich kennt viele Rituale. Hirsche kämpfen um die Ricken (das Ziel) ritualisiert, d.h., es werden Bewegungen ausgeführt, die möglichst nicht zu Verletzungen führen (die Mitteilung).

Menschen haben komplexere Verhaltensmuster, die auch zum Teil erlernt wurden, d.h. keine biologischen Wurzeln haben.

Rituale während eine Fortbildung, besonders wenn sie länger andauert, sind geeignet, das Zeitempfinden zu verbessern und Ängste (Rituale sind Angstbinder) zu mindern. Das kann auf vielfältige Art geschehen, von der Eingangsentspannung bis zum Abschiedsritual.

 

Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, es muß nur ständig wiederholt und sollte auch berücksichtigen, dass Menschen nicht "vorgeführt" werden.

 

Neuhaus, März 2012

Dr. Klaus Gehling